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by brigid

März 22, 2015

frühling ist’s. die hormone sprießen. die junghunde entdecken das andere geschlecht.
und unweigerlich stellt sich die frage: kastration ja oder nein, jetzt oder später?

mit der kastration ist es aber nun so eine sache. um die tobt eine meinungs-schlacht, die manchen religionskrieg harmlos aussehen lässt. naja…fast.  und nein, das werde ich auch mit diesem artikel nicht ein für alle mal klären! geht gar nicht, denn das thema kastration zeichnet eines aus:

es geht um persönliche einstellungen.
es geht ums eigene weltbild.
es geht auch um fakten – doch die sind widersprüchlich.

wieso ich die persönlichen einstellungen so weit vorne anreihe?
ganz einfach:

sprich mal mit einem mann über das kastrieren seines jungrüden.
sprich mal mit einer frau über das kastrieren ihres jungrüden.
in aller regel gibt es da einen unterschied :-).

den meisten – ok vielen –  männern krampft sich beim gedanken an ein skalpell an einem hoden alles zusammen und die psychische abwehr wird mobilisiert. nein!!!! so was darf gar nicht sein!!!!

ich weiss nicht, wie oft ich schon die debatten hatte, dass frauchen den herrn hund gern kastrieren lassen wollte (und es durchaus eine vernünftige entscheidung gewesen wäre), aber herrchen damit gar nicht leben konnte. zu wenig emotionale distanz zwischen den hundehoden und den eigenen.
(sorry an alle männer, die da ganz anders ticken. gut, dass es euch auch gibt!)

und das weltbild?
ja, das weltbild.
genauer gesagt: die bewertung der wichtigkeit der geschlechter.
(ihr wisst ja vielleicht: ich war mal u.a. frauenpolitisch aktiv, da muss einer so was auffallen).

es gibt menschen (männer wie frauen), für die ganz klar ist:
hündin kastrieren, rüden unbedingt intakt lassen.

und andere (männer wie frauen), für die gilt das gegenteil:
eier ab beim rüden, hündin intakt lassen.

nicht, weil die faktenlage so eindeutig wäre – in die eine oder andere richtung. (ist sie nämlich nicht).
sondern weil implizit, nicht reflektiert, unbewusst dahinter steht:

das männliche ist heilig, da darf man nicht dran schnippeln.
das weibliche ist nix wert, das entsorgen wir mal auf die schnelle.
oder eben umgekehrt:
das weibliche ist heilig, das darf nicht angerührt werden.
das männliche taugt nichts, also weg damit.

eine übertreibung? mag schon sein. um der deutlichkeit willen.
aber wir menschen funktionieren nun mal so, dass wir in allen belangen (das beschränkt sich ja nicht auf die frage kastration) unsere unbewussten wertvorstellungen mit im gepäck haben und die sollten wir uns besser anschauen, um eine vernünftige entscheidung treffen zu können.

denn worum geht es denn wirklich beim thema kastration?

um den hund!

der ist individuell.
und die kastration oder nicht-kastration soll zu seinem besten sein.
seine lebensqualität erhöhen.
(unabhängig von den einstellungen und weltbildern seines menschen)

wer sich jetzt ein patentrezept erwartet:
sorry, leute. hab keins!

weil jeder hund individuell ist, kann in meinen augen auch die entscheidung nur für den einzelnen hund getroffen werden. und ganz unterschiedlich ausfallen.

was ich habe: ein paar gedanken:
zu den mythen, den fakten, der entscheidung in sachen kastration

also legen wir gleich mal los.

mythen und fakten

ich bin ganz sicher, die diskussion um diesen beitrag wird noch einiges an mythen – die ich vielleicht noch gar nicht kannte – ans tageslicht bringen (gestern zum beispiel schon auf meiner facebook-seite: intakte rüden würden besser mit stress umgehen können ???  wo doch das stresshormon adrenalin und das testosteron sich eher gegenseitig hochschaukeln?)

ich geh jetzt mal auf die häufigsten  7 mythen ein:
bevor ich euch dann eine entscheidungshilfe gebe.

1. der kastrierte hund wird dick und träge.

wie dick oder nicht dick ein hund ist, hängt von genau zwei dingen ab:
wie viel futter er bekommt.
wie viel bewegung er bekommt.
punkt.
keine ausrede für den überfütterten hund! es liegt nicht an den hormonen.

was schon stimmt:  je höher der stresspegel bei einem hund ist, desto schlechter verwertet er nahrung, desto dünner ist er bei der gleichen futtermenge. sieht man auch ganz oft bei tierheim-hunden, die zu mager sind – nicht weil man ihnen nicht genug futter gibt, sondern wegen des hohen stresspegels. kommen die in ein neues zuhause, nehmen sie oft bei deutlich weniger futter zu, wenn sie mal „angekommen“ sind. der stresspegel v.a. beim unkastrierten rüden kann schon deutlich höher sein als beim kastrierten.

was auch stimmt:  häufig fällt die kastration in die phase, wo der hund gerade ausgewachsen ist und daher weniger nahrung braucht, weil keine energie mehr ins wachstum geht. bekommt er die selbe futtermenge weiter, wird er rundlich. würde er vermutlich auch ohne kastration.

und der „antrieb“, der aus dem einschlägigen „trieb“ kommt?
da darf man einerseits antrieb und stressbedingten aktivitätspegel nicht miteinander verwechseln.
und zweitens ist vorsicht geboten, wenn ein junghund ohne das testosteron plötzlich zur totalen schlaftablette mutiert – dann wäre vielleicht eine untersuchung auf herzgesundheit oder schilddrüse fällig.

 

2. unkastrierte hündinnen bekommen alle krebs.

man müsse die hündin unbedingt kastrieren, sonst stirbt sie in wenigen jahren elendiglich an krebs (mammatumoren) oder gebärmuttervereiterung. der eindruck wird gar nicht so selten vermittelt.
und ist natürlich unfug.

was stimmt: es gibt studien, die ein statistisch höheres erkrankungsrisiko an mammatumoren für unkastrierte hündinnen ausweisen.  und klar kann nur eine  hündin gebärmuttervereiterung bekommen, die noch eine gebärmutter hat. aber der haken an den studien:  krebs ist immer ein multifaktorielles geschehen und das lässt sich in den studien schwer erfassen. die frage: hätte genau diese hündin mit ihrer genetik, ernährung, lebensweise etc. krebs bekommen oder nicht, lässt sich logischerweise nicht klären.

fakt ist: es gibt viele intakte hündinnen, die beschwerdefrei ein hohes alter erreichen.
fakt ist: statistisch gesehen ist das mammatumor-risiko bei intakten hündinnen etwas höher.

3. kastrierte hündinnen werden alle inkontinent.

die hündin zu kastrieren sei sehr heikel, weil sie dann höchstwahrscheinlich inkontintent wird. das stimmt natürlich nicht. ja, es kann passieren. weil die nervenbahnen, die die blasenfunktion und das wasserlassen steuern, ganz ganz nah an dem bereich liegen, der bei der „totaloperation“ betroffen ist.

die operationsmethoden für die kastration der hündin sind ja unterschiedlich.‘
da gibt es einerseits die „totaloperation“, bei der gebärmutter plus eierstöcke entfernt werden. das ist schon ein ganz schön massicer eingriff für den organismus!
man entfernt ja schließlich gesunde organe mit ihre vollen funktion aus der bauchhöhle.
allein deswegen muss ich gestehen, mag ich die andere methode lieber:
die endoskopische entfernung von nur den eierstöcken. viel weniger eingriff, viel kleineres „loch im bauch“.

ausserdem fällt dadurch die gefahr der inkontinenz als folgeschaden der kastrations-op weg.
weil man gar nicht in dem heiklen bereich herumoperiert.
(allerdings braucht man einen erfahrenen operateur für diese methode, damit kein eierstockgewebe zurückbleibt!)

fakt ist nämlich: die inkontinenz ist ein ärztlicher patzer. keine unweigerliche begleiterscheinung der kastration. es gibt unendlich viele kastrierte hündinnen, die bis ins hohe alter absolut „dicht“ sind. oder deren inkontinenz an anderen faktoren liegt, nicht an der kastration.

4. kastrierte rüden sind braver.

wenn ein jungrüde sehr aufmüpfig, pöbelig und schwierig ist, wird manchmal recht schnell zur kastration geraten.
damit der hund ruhiger und braver wird.  wenn es denn so einfach wäre!
fakt ist: die kastration kann erziehung nicht ersetzen!
weil mir der punkt so wichtig ist, hier gleich nochmal:

die kastration kann erziehung nicht ersetzen.

ein hund, der an der leine zieht oder nicht kommt, wenn man ihn ruft, oder andere hunde an der leine am liebsten auffressen möchte, wird durch die kastration nicht viel anders werden. den wohlerzogenen hund ohne erziehung gibt es halt leider nicht (oder sehr sehr selten).

was stimmt:  wenn der stresspegel des hundes durch das testosteron und läufige hündinnen in der umgebung sehr hoch war und das schlechte benehmen hauptsächlich (!) vom stress herrührt, dann bessert es sich mit der kastration eindeutig.

was auch stimmt:  unkastrierte rüden haben beim streunen einen größeren radius und sind etwas aktiver (hinter weibchen her).
die kastration reduziert den radius beim streunen und macht etwas ruhiger.
aber mal ehrlich: den radius des streunens begrenzt hoffentlich ein guter zaun und unterwegs entweder ein gutes herankommen auf signal oder eine schleppleine (egal ob kastriert oder unkastriert!)

fakt ist aber:  wenn ein rüde bereits bestimmte verhaltensweisen erworben hat – zum beispiel das anpöbeln von anderen rüden, das abhauen oder ähnliches – dann verschwindet das mit der kastration sicher nicht. weil es sich um erlernte verhaltensweisen handelt! und die kann man nicht kastrieren.

 

5. intakte rüden sind miteinander unverträglich.

irgendwie gehen wir grundsätzlich davon aus, dass rüden miteinander immer gleich raufen. zumindest solange sie nicht kastriert sind.
was natürlich nicht stimmt. das wäre ja dann auch von der natur blöd eingerichtet, wenn sich die männliche hälfte einer spezies immer gleich selber zerfleischt.
souveräne, gut sozialisierte intakte rüden sind durchaus miteinander verträglich – nur leider sehr selten.

was stimmt:  jungrüden benehmen sich oft wie jungmänner – auf imponieren aus, pöbelig und laut.
kräftemessen-phase sozusagen. mit guter sozialisation, unter der anleitung eines souveränen älteren (intakten) rüden könnte der herr jungspund schon lernen, sich gut zu benehmen. leider sind solche begegnungen heutzutage nicht oft zu finden.

was auch stimmt:  jungrüdiges benehmen plus hoher stresspegel zusammen sind eine schlechte kombination. und leider treibt das testosteron den stresspegel immer hoch (adrenalin und testosteron sind eng verknüpft und das eine steigert das andere), drum gibt es da am ehesten kabbeleien. und jede kabbelei ist ein lerneffekt! jedes ausgelebte „aggressive“ verhalten macht das für die zukunft wahrscheinlicher.  was im übrigen auch auf kastrierte rüden zutrifft.

6. intakte hündinnen sind miteinander unverträglich.

die zickigen weiber würden sofort übereinander herfallen und sich anfeinden, wenn sie nicht kastriert wären, oder? ‚
bei manchen hundebegegnungen – ist ihrer eine hündin? oje, meine auch! – bekommt man ja das gefühl,
dass hunde sich mit dem eigenen geschlecht nicht vertragen.
was falscher nicht sein könnte.  und zwar egal, ob kastriert oder nicht kastriert.
die verträglichkeit mit anderen hängt von vielen anderen faktoren ungleich stärker ab, als von den paar hormonen – die ja bei der hündin ausserdem nur schubweise 1-2 mal im jahr anders ausfallen.

was stimmt:  der zeitpunkt der kastration der hündin ist entscheidend.
wird sie nämlich zu früh nach der läufigkeit kastriert, dann bleibt sie salopp formuliert im falschen hormonstatus „hängen“
und kann danach zu etwas heftigerem verhalten neigen als vorher.
und wenn das vorher schon nicht so entspannt war, dann gibt es natürlich probleme.
(wenn es vorher schon sehr cool und entspannt war, kann aber selbst das gut ausgehen. ist mir bei meiner labi-hündin damals durch ein tierarzt-versehen passiert und nichts ist geschehen).
die faustregel lautet: jedenfalls zwei monate nach ende der läufigkeit abwarten und dann erst kastrieren.

was auch stimmt: bei unkastrierten hündinnen ist die sogenannte „oxytocin-bremse“ vorhanden,
das oxytocin ist ein bindungshormon – das unter anderem für die mutter-kind-bindung, aber auch sonstige bindungen sorgt.
auch oft bekannt als „liebes-hormon“. unter seiner einwirkung wird der hund sanfter, liebevoller und weniger reaktiv.
bei unkastrierten hündinnen ist der oxytocin-spiegel höher, ihr verhalten anderen gegenüber ist daher selbst im konfliktfall „gebremst“ (daher der begriff von der bremse).
fällt der hohe oxytocin-spiegel weg, kann die hündin zickiger werden.

fakt ist aber: die verträglichkeit mit anderen hunden generell oder mit vertreterinnen des eigenen geschlechts ist von vielen faktoren abhängig. es gibt kastrierte wie intakte hündinnen, die entweder das eigene oder das andere geschlecht bevorzugen oder denen das geschlecht sowieso egal und nur das benehmen wichtig ist.

7.  kastration ist gegen die natur.

kastrationsgegner argumentieren gerne damit, dass es „unnatürlich“ sei, den hund in seinen geschlechtsorganen und seiner sexualität zu beschneiden. die sexualhormone gehören nun einmal ebenso zum hund wie die anderen auch, und auch sein normalverhalten könne sich so besser entwickeln, als wenn er durch kastration in deinem verhalten verändert wird.

es stimmt natürlich: die kastration ist ein eingriff in den organismus, der in der natur nicht vorkommt. und hat manchmal kaum merkbare und manchmal deutlichere auswirkungen aufs verhalten.

allerdings:  wer die natur bemüht, muss auch den ganzen weg gehen!
und seinem hund erlauben, sich so wie seine natur es ihm gebietet, auf die suche nach dem läufigen weibchen zu gehen (=streunen),
sich sozialpartnerInnen zu wählen wie es ihm beliebt, und sich vor allem auch sexualpartnerInnen zu wählen, wie seine natur es ihm gebietet. und sich fortzupflanzen, denn das hat die natur damit hauptsächlich im sinn.
wer seinem hund den natürlichen weg von sex und fortpflanzung nicht nach gutdünken ermöglichen will und kann (und wer bitte kann oder will das schon???), der braucht sich in meinen augen auch keine großen gedanken um die „unnatürlichkeit“ der kastration machen.
(und mal ganz nebenbei: wie „natürlich“ ist zum beispiel leinegehen schon?)

ok, so viel also mal dazu.

aber wie sollst du nun entscheiden???
was ist für deinen hund das beste?

die entscheidungshilfe

eine kastration dient zwei zielen (wenn es nach mir geht):
a) der verhinderung der fortpflanzung
b) der erleichterung des lebens für den hund (!)

ob dein hund es unkastriert oder kastriert leichter hätte, kommt auf viele faktoren an und kann nur von hund zu hund (und manchmal je nach lebensphase deines hundes) entschieden werden.

abzuwägen ist dabei, ob
– die hündin ohne kastration mehr verhaltensstabilität oder mehr belastung (durch läufigkeit, scheinträchtigkeit) hat
– der rüde ohne kastration mehr verhaltensstabilität oder mehr stress (durch läufige hündinnen, hohen allgemeinen stresspegel verstärkt durchs testosteron) hat.

hier mal beispiele:
wenn dein rüde nächtelang fiepend vor der haustür sitzt,
weil in der nachbarschaft eine hündin läufig ist.
oder wenn er im frühjahr und herbst wochenlang nicht ansprechbar ist,
weil er vor lauter testosteron keinen klaren gedanken mehr fassen kann,
oder wenn er auf alles aufreitet, was sich irgendwie bewegt (und das aufreiten sexuell motiviert und weder rein stressbedingt noch rein angelerntes verhalten ist),
dann würde ich persönlich nicht lange zögern und den rüden kastrieren lassen.

wenn deine hündin während der läufigkeit zum verunsicherten, extrem liebesbedürftigem hund wird,
den du kaum mehr alleine lassen kannst,
oder sie in der nachbarschaft wochenlang von allen rüden bedrängt und belästigt wird und sich kaum erwehren kann,
oder sie immer gleich scheinträchtig wird (und nichts dagegen hilft)
und das bis zu unsichtbaren welpen geht, die sie eifersüchtig bewacht (alles schon dagewesen!),
dann würde ich persönlich nicht lange zögern und sie kastrieren lassen.

stell dir also folgende fragen:

1. hab ich einen sowieso sehr stressanfälligen hund?
2. hat mein hund ohne kastration vermehrten und  zusätzlichen stress?
3. hat mein hund ein ausgeprägtes sexuelles interesse am anderen geschlecht?
4. ist mein unkastrierter jungrüde mit anderen hunden nicht so ganz einfach?
5. ist meine hündin mit anderen hunden sowieso sehr entspannt und cool?
6. machen meinem hund seine hormone ziemlich zu schaffen (körperlich wie seelisch)?

so ganz pauschal gilt:
je öfter du eine frage mit „ja“ beantwortet hast, desto eher wäre dein hund ein kandidat für eine kastration.

aber wie gesagt: die entscheidung kann immer nur auf den individuellen hund abgestimmt werden. und letzten endes ist es deine entscheidung!

du hast fragen, die jetzt nicht angesprochen wurden (sicher sogar, in der kürze hab ich jetzt vieles nicht untergebracht)?
du hast erfahrungen oder informationen beizusteuern (da bin ich mir auch sicher, schließlich haben wir alle so einiges schon erlebt)?
du möchtest deine meinung und ansichten in die diskussion einbringen (unbedingt bitte, davon kann die diskussion nur profitieren)?

….dann komm „rüber“ auf meine facebook-seite wo wir diskutieren können!

über die autorin 

brigid

brigid weinzinger ist tiertrainerin und verhaltensberaterin für hund, katz, pferd und mensch. sie bloggt auf www.denktier.at über das leben mit tieren und tipps für deren ausbildung.