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by brigid

November 20, 2022

raum distanz hund

immer wieder liest oder hört man davon, dass man nähe und distanz mit dem hund regulieren muss.
außerdem müsse man ein verständnis für raum und den umgang des hundes damit entwickeln.
den laien lässt das erst mal ratlos zurück, denn vorstellen kann man sich darunter nicht so viel.

was versteckt sich also hinter dem regulieren von raum und nähe?

das konzept geht davon aus, dass raum eine ressource ist, wie futter oder wasser auch.
und dass der hund nicht frei darüber verfügen können soll.
er soll  den raum des menschen respektieren und grenzen akzeptieren lernen.
die brauche er erstens für den alltag und zweitens liefe das auch unter hunden so.

raum regulieren?

häufig genug sind damit aufforderungen verbunden,
sich mit aufrechter, „raumeinnehmender“ körperhaltung hinzustellen
und den hund zu blocken, wenn er unaufgefordert näher kommt.

das setzen von grenzen und eine klare kommunikation sind das ziel,
damit einem der hund nicht auf der nase herumtanzt,
den menschen nur als futterhand und leckerlispender sieht und keinerlei respekt vor ihm hat.

perfiderweise kommt das regelmäßig mit dem versprechen daher,
die beziehung zum hund würde dadurch mit einem schlag viel inniger.

was ziemlich zu bezweifeln ist.

es stimmt schon, dass hunde über räumliche anordnung kommunizieren.
es stimmt auch, dass hunde anderen hunden gegenüber manchmal raum für sich beanspruchen
oder von ihnen ein abstand halten einfordern.

doch in der regel tun sie das
– fremden hunden gegenüber oder
– im konfliktfall (wenn subtilere formen der kommunikation nicht gereicht haben).

was das nicht bewirkt: eine vertiefung der beziehung.
es mögen die regeln klar gestellt sein nach dem motto „du hast hier nichts zu suchen“.
doch innigkeit sieht anders aus.

raum distanz hund

(wer interesse hat, die innige beziehung zum hund zu fördern, bekommt übrigens demnächst tipps dazu im neuen webinar „sichere bindung, enge beziehung“, zu dem man sich gleich hier anmelden kann (kostenlos):

 

5 fragen

wie so oft stecken auch im ansatz von raum und distanz wahre elemente wie missverstandene fakten und ein paar fixe menschliche vorstellungen. wollen wir die wichtigsten davon der reihe nach unter die lupe nehmen.

1. muss der mensch seinen raum behaupten?

bei menschen wie hunden gibt es die sogenannte individualdistanz.
das ist jener radius um uns herum, wo es unangenehm wird, wenn ein anderer ihn unterschreitet.
es gibt ja so distanzlose typen, die uns beim gespräch bis auf einen halben meter auf die pelle rücken.

wird die individualdistanz in einem gesellschaftlich akzeptieren setting unterschritten,
sagen wir zum beispiel im vollen lift, wo wir dicht an dicht stehen,
nehmen wir uns körpersprachlich sehr zurück und vermeiden direkten blickkontakt.
wir beschwichtigen genau wie hund.

allerdings gilt das alles fremden gegenüber.
unter freunden sieht das schon ganz anders aus und erst recht bei den uns vertrautesten menschen
oder eben unseren hunden.

hunde untereinander handhaben das auch so.
einen fremden hund in die wohnung spazieren und zu sich ins eigene körbchen kuscheln lassen,
wird kaum ein hund so ohne weiteres.
der hundekumpel, mit dem man zusammenlebt und den man mag, darf das aber problemlos.

das unter hunden übliche kontaktliegen ginge ohne unterschreiten der individualdistanz gar nicht.
mit raum behaupten ist da nichts.
weder unter hunden.
noch zwischen hund und mensch.

klar passiert es immer wieder, dass grad nicht der richtige zeitpunkt ist.
dann kann man den hund aber auch ganz freundlich bitten,
wieder auf seinen platz (oder wo anders hin) zu gehen.
dazu muss man sich nicht mit aufrechtem oberkörper und angespannter muskulatur
vor ihm aufbauen und „raumeinnehmend“ von ihm fordern, dass er sich entfernt.

das ist schlicht eine einschüchternde und bedrohliche körperhaltung,
die unter freunden nichts zu suchen hat.

2. sagt nähe etwas über bindung aus?

schlicht und ergreifend: nein.

natürlich verbinden wir körperliche mit emotionaler nähe.
sich nahe sein und spüren ist ein wichtiges element von zuwendung.

sie muss aber nicht rund um die uhr gegeben sein
und schon gar nicht führt räumliche nähe automatisch zu einer liebevollen beziehung.
sonst wären wir ja automatisch mit jedem neben uns im vollen bus in einer liebesbeziehung.

ob der hund weite kreise um den menschen zieht,
ob er abhaut oder jagen geht und stundenlang nicht mehr zu sehen ist,
sagt genau gar nichts über die bindung aus.

manchmal sogar im gegenteil:
je stabiler die bindung ist, desto sicherer ist der hund und desto eigenständiger sein erkundungsverhalten.
der rest ist erziehungssache.

3. müssen hunde in ihre schranken verwiesen werden?

noch ein klares nein.

selbstverständlich gibt es grenzen und regeln, an die sich der hund zu halten hat.
so wie auch jedes andere mitglied des haushalts oder der gesellschaft.

diese regeln und grenzen muss man dem hund beibringen,
das geht aber am besten und zuverlässigsten ohne druck und ohne einschüchterung.

wenn im hinterkopf nicht die sorge lauert,
dass der hund sich zu viele „freiheiten“ herausnimmt
und sich letzen endes doch zum herrscher über sofa, kühlschrank und fernbedienung aufschwingt,
so wie man die zügel nur ein wenig schleifen lässt,
hat man damit üblicherweise auch kein problem.

vielleicht weiß man manchmal nicht immer gleich,
wie man einem hund dies oder jenes am besten beibringen kann.
das problem ist aber nicht, dass der hund die einhaltung von regeln ohne druck nicht lernen würde.

4.  spielen raum und distanz eine rolle in der kommunikation?

ja, ganz eindeutig.
jedenfalls unter hunden – und wenn der mensch ein geschultes auge hat – auch zwischen hund und mensch.

ob man frontal auf den hund zuläuft,
ob ein fremder hund auf beschwichtigungssignale hinauf ausweicht,
ob man sich parallel zueinander positioniert und vieles mehr,
das hat alles natürlich auch eine kommunikative funktion.

das größte problem ist nicht, dass der mensch dabei unklar wäre
oder der hund dem menschen durch zu nahe kommen unhöflichkeiten an den kopf wirft,
sondern dass wir menschen diese räumliche dimension oft erst sehr spät, wenn überhaupt wahrnehmen.

dadurch kann es schon mal zu ungewollter unhöflichkeit kommen,
nämlich vom menschen an den hund,
oder sogar zu übergriffen, die wir besser bleiben lassen sollten.

wer mal genau beobachtet, wie freilaufende hunde sich zueinander positionieren
– auch auf größere entfernung –
und wie das wechselspiel ihrer bewegungen und ausdrucksformen läuft,
bekommt ein gutes verständnis dafür, wie fein diese kommunikation sein kann
(und was für grobe klötze wir menschen manchmal sind).

5. fordern hunde nicht untereinander auch distanz ein?

sogenanntes distanzforderndes verhalten gibt es unter hunden selbstverständlich.
dazu gehören dinge wie imponierhaltung, drohstarren oder knurren.

hunde wenden das dann an, wenn sie sich bedroht fühlen
oder wenn sie das gefühl haben, eine ressource verteidigen zu müssen
(unabhängig davon, ob die ressource ein kauknochen, der napf oder das eigene zuhause ist).

das gilt übrigens nicht nur zwischen hund und hund,
sondern läuft genauso ab zwischen hund und mensch.

das distanzfordernde verhalten enthält daher praktisch immer ein element von unsicherheit oder sorge
(man könnte mir was wegnehmen, es könnte mir was passieren).
dazu passt, dass unter hunden (wie unter wölfen) es üblicherweise so ist,
dass die lautesten auftretenden individuen meist diejenigen sind,
die ihre unsicherheit damit kompensieren und die daher auch keiner für ganz voll nimmt.

unter fremden hunden mag es mal vorkommen, dass man einen anderen nicht ranlassen mag.
unter bekannten hunden oder denen, die zusammenleben,
ist es aber immer ein zeichen von mangelnder sozialer souveränität
oder ausdruck einer gestörten beziehung.

alter wein in neuen schläuchen?

viel von den thesen hinter der arbeit mit raum und distanz erinnert an altbekanntes.
wer sorge hat, dass der hund sich zu viel rausnimmt,
wer es für wichtig hält, dass der hund respekt gegenüber dem menschen zeigt
und wer das gefühl hat, den hund in seine schranken verweisen zu müssen, weil sonst … ja was? …. passiert,
der hat die längst widerlegte dominanztheorie noch nicht überwunden.

wir wissen doch längst, dass wölfe als familienverbände und nicht als streng hierarchische truppe strukturiert sind
und dass unsere hund sich auf kooperation und ein umfangreiches repertoire friedlicher regeln des zusammenlebens spezialisiert haben,
das sie erfreulicherweise auch auf uns menschen erstrecken.

das letzte, was wir für eine bessere beziehung zum hund brauchen, sind „raumeinnehmen“, respekt einfordern oder nähe untersagen.
wir sollten vielmehr überlegen, wo wir menschen uns übergriffig und respektlos dem hund gegenüber verhalten
und wie wir ihm besser gerecht werden können.

(ps: wer für die beziehung zum hund wirklicht etwas tun möchte, bekommt praktische tipps dazu im kostenlosen webinar „sichere bindung, enge beziehung“).

über die autorin 

brigid

brigid weinzinger ist tiertrainerin und verhaltensberaterin für hund, katz, pferd und mensch. sie bloggt auf www.denktier.at über das leben mit tieren und tipps für deren ausbildung.