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by brigid

August 21, 2016

„der ist territorial!“
„der verteidigt nur sein revier“
„die rasse hat nun mal ein ausgeprägtes territorialverhalten“

solche und ähnliche sprüche hast du sicher auch schon gehört. meist dann, wenn ein hund grad unkontrolliert nach vorne geht und alles verbellt, was sich nähert oder gar zur tür rein will.

und es stimmt doch: hunde haben territorialverhalten, oder?
oder etwa doch nicht?

werfen wir doch mal einen genaueren blick darauf…
(auch weil die frage grad im kurs „verTRAUEN“ aufkam)

am besten anhand von 3 beispielen, die gerne im zusammenhang mit (angeblichem) territorialverhalten genannt werden:

 

beispiel 1:  der hofhund

ein fremder nähert sich dem ´grundstück und der hund bellt. der fremde kommt näher, der hund bellt heftiger und „stellt“ den eindringling.  eh klar, er „verteidigt sein revier“.  hundekenner beschreiben sogar schön, wie die körperhaltung des hundes erst leicht defensiv ist und dann ins offensive übergeht.
beim googeln hab ich einen artikel neueren datums gefunden, der das so erklärt, dass der hund eben erst unsicher sei und dann zu „souveränem und sicherem territorialverhalten“ wechselt.

moment mal: ein erst unsicherer hund wird bei wachsender bedrohung (denn als das wird der eindringling ja gewertet) plötzlich souverän und sicher?

das ist in etwa so wahrscheinlich, wie dass du dich erst vorm einbrecher, der über den gartenzaun steigt, fürchtest, dich dann aber plötzlich zuversichtlich und sicher fühlst, wenn er erst mal das haus betritt.

mitnichten wirst du das!
mitnichten tut der hund das!

es steigt nur der bedarf, sich zu wehren und lauter und deutlicher klar zu machen, dass aber jetzt schluss sein muss und bitte kein schritt weiter.

es ändert sich das verhalten. die lautstärke. die vehemenz.
nicht aber die emotion! die bleibt die selbe: angst.
angst, die größer wird.

dass hund in der menschlichen urgeschichte in die siedlungen einziehen durften, hatte unter anderem den grund, dass sie so praktisch und rechtzeitig vor gefahren warnten. sie meldeten störungen und eindringlinge.

nicht weil der eben ursprüngliche, halbwilde hund die entscheidung getroffen hätte „ich übernehme jetzt aus liebe zu den netten menschen, bei denen ich unterkommen konnte, freiwillig den posten der wach- und schließgesellschaft“.

nein! sondern weil

a) das bellen manchen eindringling wirksam in die flucht schlug (wenn sich wer heimlich anschleichen will und dabei entdeckt wird, gibt er ja doch öfter auf)
b) das bellen hilfe herbei rief (andere hunde die mitbellen und menschen, die nach dem rechten sehen).

das verhalten des hofhundes ist also motiviert von

  • unruhe und sich gestört fühlen
  • angst und dem gefühl, bedroht zu sein
  • ein ruf nach verstärkung

(wenn du zum thema angst mehr infos möchtest, dann gibt es hier ein kostenloses video vom webinar „wenn der hund sich fürchtet“, einfach bestellen)

beispiel 2: der hund und das badetuch

kennst du das auch, dass dein hund im bad (oder außerhalb der badesaison auf der parkbank) nach einiger zeit anfängt, sein „revier“ zu verteidigen und andere hunde anbellt, wenn die zu nahe kommen?

es ist jedenfalls ein gern genanntes beispiel, wenn man über territorialverhalten diskutiert.
und ethologisch betrachtet eins der unsinnigsten.

ethologisch definiert muss ein territorium nämlich zwei kriterien erfüllen:
– das tier muss es durch irgendeine form von markierung als „seines“ beanspruchen (zum beispiel geruchsmarkierungen) und definiert damit seinen zentralen lebensraum gegenüber nahrungs- oder sexualkonkurrenten
– das tier kontrolliert dieses territorum regelmäßig und verteidigt es gegen artgenossen

so ganz will das badetuch da nicht dazu passen!

und wenn das badetuch ein „revier“ wäre, warum verteidigt der hund es nicht von anfang an, sondern erst nach einiger zeit?

hier sind mal drei möglichkeiten, was dahinter stecken könnte:

a) der hund fühlt sich in der neuen umgebung anfangs unsicher und reagiert daher lieber nicht auf andere hunde (weil er noch zu überwältigt ist von den neuen eindrücken und sich daher zurückhaltend verhält), gewinnt aber im lauf der zeit sicherheit und legt dann erst los.

b) der hund verteidigt sowieso immer seinen liegeplatz gegen andere hunde und fängt damit kurz nachdem er das badetuch als liegeplatz erkoren hat, an.

c) der hund bekommt im lauf der zeit immer mehr stress und erträgt daher die annäherung anderer hunde im lauf der zeit immer schlechter.  menschen gehen ja meist bei heißem wetter ins bad (hitzestress!) und verbringen dort eher längere zeit. da kann beim hund schon stress aufkommen!

das verhalten des hundes, der sein „badetuch-revier“ verteidigt, ist also motiviert von:

  • unsicherheit und überforderung
  • ressourcenverteidigung (liegeplatz) und wahrung der individualdistanz
  • stress

beispiel 3: der hund und die besucher

da schießt der hund kläffend zur wohnungstür, kaum dass die glocke läutet, und wenn man nicht aufpasst, schnappt er womöglich noch in richtung der fremden beine?

auch das wird gern als revierverteidigung bezeichnet. ist ja schließlich das zuhause des hundes, das er hier verteidigt!

dann müsste er das doch erst recht verteidigen, wenn die besucher im wohnzimmer platz genommen haben und sich offenkundig im eigenen „revier“ einnisten wollen, oder?

das gegenteil ist aber normalerweise der fall. sind die menschen erst mal drin, ist erst mal ruhe eingekehrt, wird auch der hund wieder ruhiger.  es gibt zwar welche, bei denen sich die besucher dann nicht unerwartet bewegen dürfen, aber die meisten hunde akzeptieren die gäste relativ bald.

was schlicht daran liegt, dass es sich natürlich nicht um territorialverhalten handelt, sondern um

  • aufregung und von den menschen versehentlich verstärktes aufgedrehtes verhalten bei der ankunft der besucher
  • angst und unsicherheit, wenn einem fremde so nahe rücken (bis man die feststellung macht, dass sie eh harmlos sind).

 

in allen drei fällen also kein wirkliches territorialverhalten.
zumindest nicht, wenn man das als „souveränes und sicheres“ verteidigungsverhalten eindringlingen gegenüber definiert.

das wirft natürlich die frage auf, ob es das überhaupt gibt und ob nicht jedes verteidigungsverhalten von angst gespeist ist – der angst vor der bedrohung von außen oder der angst, etwas wichtiges (wie den eigenen platz) zu verlieren.

persönlich bin ich ja dafür, den begriff territorialverhalten fallen zu lassen.
weil er uns nicht weiter hilft.
nicht beim verständnis des hundes.
nicht beim umgehen mit der situation.
und schon gar nicht dabei, dem hund zu helfen, sich anders und (von uns) erwünschter zu verhalten.

zielführender ist es allemal, sich die emotionen anzuschauen und etwas gegen die unsicherheit und angst zu tun.

 

ps: hör ich dich da jetzt das wort „herdenschutzhund“ raunen und dass der aber doch territorialverhalten sehr ausgeprägt habe? hmmm… nur eine frage dazu: die herdenschutzhunde ziehen ja auf den großen wanderungen der schafherden mit – was genau ist dabei das „territorium“, das sie verteidigen?

 

über die autorin 

brigid

brigid weinzinger ist tiertrainerin und verhaltensberaterin für hund, katz, pferd und mensch. sie bloggt auf www.denktier.at über das leben mit tieren und tipps für deren ausbildung.